Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen – Ergänzung der Finanzverwaltung

Anmerkung zu dem BMF-Schreiben vom 20.5.2022

Praxisproblem

Mit dem Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019 sind die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung in § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG ab 1.1.2020 ergänzt und insoweit auch die Voraussetzungen der Steuerfreiheit gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG verschärft worden.

Das BMF hatte sich mit Schreiben vom 9.10.2020 zu den neuen Anforderungen an die Steuerbefreiung geäußert. Gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG ist die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung davon abhängig, dass der Unternehmer seiner gesetzlichen Pflicht zur Abgabe einer Zusammenfassenden Meldung (ZM) gemäß § 18a UStG nachkommt und diese im Hinblick auf die jeweilige Lieferung richtig und vollständig ist. Gibt der Unternehmer die ZM nicht richtig, nicht vollständig oder nicht fristgerecht ab, erfüllt er nach dem BMF-Schreiben v. 9.10.2020 die Voraussetzung für die Steuerbefreiung nicht.

Die Pflicht zur Berichtigung einer fehlerhaften ZM nach § 18a Abs. 10 UStG bleibt gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG unberührt. Eine fehlerhafte ZM ist gemäß § 18a Abs. 10 UStG innerhalb eines Monats zu berichtigen, wenn der Unternehmer nachträglich erkennt, dass die von ihm abgegebene ZM unrichtig oder unvollständig ist. Berichtigt der Unternehmer die fehlerhafte ZM für den Meldezeitraum, in dem die betreffende Lieferung ausgeführt wurde, nicht, ist nach dem BMF-Schreiben vom 9.10.2020 die Steuerbefreiung für die betreffende Lieferung nachträglich zu versagen. Eine Berichtigung von Fehlern in einer anderen ZM als der ursprünglichen, führt zu keinem Aufleben der Steuerfreiheit für die betreffende Lieferung.

Zur fehlerhaften oder Nichtabgabe einer ZM bzw. zu einer nicht fristgerechten Berichtigung i.S.v. § 18a Abs. 10 UStG und den sich daraus ergebenden Folgen für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung waren nach Ergehen des BMF-Schreibens vom 9.10.2020 wiederholt Fragen in der Praxis aufgetreten.

Regelungen im neuen BMF-Schreiben

Mit dem BMF-Schreiben v. 20.5.2022 hat die Verwaltung sich zu diesen Fragen geäußert. Danach gilt insbesondere Folgendes:

Die in § 18a Abs. 10 UStG normierte Frist dient ausschließlich den Zwecken der Durchführung eines ordnungsgemäßen innergemeinschaftlichen Kontrollverfahrens sowie eines etwaigen Bußgeldverfahrens (§ 26a Abs. 2 Nr. 5 UStG). Die Verpflichtung zur Abgabe einer richtigen und vollständigen ZM für Zwecke der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG besteht auch über die in § 18a Abs. 10 UStG genannte Frist hinaus.

Wird eine nicht fristgerecht abgegebene ZM erstmalig für den betreffenden Meldezeitraum richtig und vollständig abgegeben, liegen in diesem Zeitpunkt erstmals die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung vor und diese ist bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen zu gewähren. Die erstmalige Abgabe einer ZM und die Berichtigung einer fehlerhaften ZM durch den Unternehmer innerhalb der Festsetzungsfrist entfalten für Zwecke der Steuerbefreiung (der innergemeinschaftlichen Lieferung) Rückwirkung. Die rückwirkende Gewährung der Steuerbefreiung im Veranlagungsverfahren schließt ein Bußgeldverfahren des BZSt nach § 26a Abs. 2 Nr. 5 UStG nicht aus.

Die Grundsätze des neuen BMF-Schreibens sind nach dem Willen der Finanzverwaltung erstmals auf innergemeinschaftliche Lieferungen anzuwenden, die nach dem 31.12.2019 bewirkt werden oder worden sind.

Praxishinweise

Die Verwaltung hat die bisherige strenge Sicht, dass eine verspätete Berichtigung der ZM zum Verlust der Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung führt, damit aufgegeben. Diese strenge Sicht war unionsrechtlich wohl auch nicht haltbar. Somit kann eine ZM z. B. auch noch nach 6 oder 10 Wochen (oder sogar nach Ablauf eines Besteuerungszeitraums) korrigiert werden, ohne dass die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung grundsätzlich gefährdet ist. Auch nach erstmaliger Nichtabgabe einer ZM und späterer Nachholung der Meldung soll die Steuerbefreiung erhalten bleiben.

Zur Verdeutlichung sei an dieser Stelle auf die beiden Beispiele der Finanzverwaltung in dem neuen BMF-Schreiben verwiesen:

Beispiel 1:

Der in Deutschland ansässige Unternehmer U liefert an einen französischen Kraftwerksbetreiber A am 10.2.2022 eine Maschine im Wert von 50.000 €. Die Rechnungsstellung erfolgt ebenfalls am 10.2.2022. A hat gegenüber U seine französische USt-IdNr. bei Auftragserteilung verwendet. In der ZM für Februar 2022 gibt U versehentlich durch einen fehlerhaften Abgleich im Buchhaltungssystem an, Gegenstände im Wert von 5.000 € an A geliefert zu haben. U entdeckt den Fehler zufällig am 10.6.2022 und meldet in der ZM Juni 2022, die er am 5.7.2022 an das BZSt übermittelt, dass er an A Waren im Wert von 45. 000 € geliefert hat. Zwar liegen die übrigen Voraussetzungen für eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung vor, allerdings hat U für Februar 2022 eine unrichtige ZM in Bezug auf die Lieferung an A abgegeben. Da er den Fehler nicht in der ursprünglichen ZM für Februar 2022 berichtigt hat, sondern in der ZM für Juni 2022, ist die Steuerfreiheit insgesamt zu versagen. Würde U sowohl die ZM für Februar 2022, als auch für Juni 2022 berichtigen, wäre die Steuerbefreiung für die Lieferung an A rückwirkend zu gewähren, sofern die entsprechenden Steuerfestsetzungen noch änderbar sind.

Beispiel 2:

Der in Deutschland ansässige Unternehmer U liefert an einen französischen Kraftwerksbetreiber A am 10.2.2022 eine Maschine im Wert von 50.000 €. Die Rechnungsstellung erfolgt ebenfalls am 10.2.2022. A hat gegenüber U seine französische USt-IdNr. bei Auftragserteilung verwendet. U gibt nach Ablauf des Meldezeitraums für Februar 2022 keine ZM ab. Damit liegen nicht alle materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung vor. Die Steuerbefreiung ist für diese Lieferung zu versagen. Gibt U die ZM für Februar 2022 nach Ablauf der Abgabefrist noch richtig und vollständig ab, liegen die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung im Zeitpunkt der verspäteten Abgabe erstmals vor und die Steuerbefreiung für die Lieferung an A ist rückwirkend zu gewähren, sofern die entsprechende Steuerfestsetzung noch änderbar ist.

Insgesamt ist die neue Klarstellung der deutschen Finanzverwaltung zur Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferungen mit Blick auf die Abgabe einer ZM zu begrüßen und wird sicherlich in der betrieblichen Praxis für Erleichterung sorgen. Kommt es doch hier immer wieder vor, dass ZM zu spät oder unvollständig übermittelt werden und dieses in der Mehrzahl der Fälle erst nachträglich und dann durch den Unternehmer selbst auffällt. Als Freibrief für eine verspätete Abgabe der ZM sollte das neue BMF-Schreiben vom 20.05.2022 jedoch nicht verstanden werden, da trotz möglicher nachträglicher Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen weiter Bußgelder erhoben werden können.
 
Weiter bleibt es abzuwarten, ob der Gesetzgeber auch noch für eine Klarstellung im Umsatzsteuergesetz selbst sorgt. Grundsätzlich könnte die Ergänzung in § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG („§ 18a Abs. 10 bleibt unberührt") entfallen. Dann kann der Unternehmer auf jeden Fall eine fehlerhafte Zusammenfassende Meldung oder eine nicht abgegebene Meldung später noch zutreffend abgeben, ohne nur auf die Verwaltungsauffassung vertrauen zu müssen.

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