Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen und innergemeinschaftliche Lieferungen bei gebrochener Beförderung oder Versendung und zu Reihengeschäften

Anmerkung zum BMF-Schreiben v. 07.12.2015

Praxisproblem

Bei Ausfuhrlieferungen und bei innergemeinschaftlichen Lieferungen mit sog. gebrochener Transportverantwortlichkeit bestand bisher Unsicherheit, ob in solchen Fällen die Steuerbefreiungen nach den §§ 6 und 6a UStG greifen. Ausfuhr- und innergemeinschaftliche Liefe-rungen sind unter den weiteren Voraussetzungen der §§ 6 und 6a UStG steuerfrei, wenn der Lieferer bzw. der Abnehmer (oder deren Beauftragter) den Liefergegenstand ins Drittlandsgebiet bzw. in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet. Im Falle eines sog. gebrochenen Transports, bei dem sich Lieferer und Abnehmer den Warentransport teilen und somit eine Kombination von Beförderung/Versendung einerseits durch den Lieferer und andererseits durch den Abnehmer vorliegt, war unklar, ob die Steuerbefreiung in Betracht kommen kann. In diesen Fällen ist der Lieferer nur für eine Teilstrecke der Warenbewegung zuständig, während der Kunde den Transport ab der Übergabestelle bis zum endgültigen Bestimmungsort selbst übernimmt.

Beispiel:

Der russische Unternehmer B kauft bei dem deutschen Lieferanten A Ware. Die Ware soll vom Lager des A in Köln nach Moskau transportiert werden. A und B vereinbaren, dass A den Transport bis zu einem Sammellager in Rostock verantwortet und B die Ware dort übernimmt und sie nach Moskau transportiert.

Teilweise wurde bisher die Ansicht vertreten, dass lediglich auf die erste Teilstrecke der Lieferung abzustellen sei. Diese müsse sämtliche Voraussetzungen der Steuerbefreiung (z.B. für Ausfuhrlieferungen) erfüllen. Mit dem Transport an die Übergabestelle und die Übergabe an den Abnehmer sei die Lieferung abgeschlossen, da dort die Verfügungsmacht auf den Abnehmer übergegangen sei. Im vorigen Beispiel wären damit die Voraussetzungen der Steuerbefreiung einer Ausfuhrlieferung nicht erfüllt. Wenn der Abnehmer bereits im Inland Verfügungsmacht erhält, wäre von einer steuerpflichtigen Inlandslieferung durch A und von einem anschließenden rechtsgeschäftslosen Verbringen der Ware durch B in das Drittlandsgebiet auszugehen.

Demgegenüber hatte das FG Sachsen mit Urteil v. 24.05.2011, 6 K 2176/09, EFG 2011, 2112 entschieden, dass es für die Frage der Steuerbefreiung (einer innergemeinschaftlichen Liefe-rung) unbeachtlich ist, dass die Verfügungsmacht an der gelieferten Ware bereits am Unterbrechungsort der Warenbewegung im Inland verschafft worden ist. Diese Entscheidung war nachvollziehbar. Würde im Rahmen des § 6a UStG primär auf die Verschaffung der Verfügungsmacht im Inland abgestellt, so entfiele auch in sog. Abholfällen (der Abnehmer holt die Ware beim Lieferer ab und befördert sie ins übrige Gemeinschaftsgebiet) die Steuerbefreiung, was unstreitig nicht der Fall ist. Gleiches ist in Fällen von Ausfuhrlieferungen anzunehmen.

Entscheidung

Mit dem BMF-Schreiben vom 07.12.2015, III C 2 - S 7116-a/13/10001/III C 3 - S 7134/13/10001 hat die Verwaltung sich zur Bedeutung von gebrochenen Beförderungen/Versendungen bei steuerfreien Ausfuhrlieferungen und innergemeinschaftlichen Lieferungen geäußert. Hierbei unterschiedet sie zwischen bilateralen Umsatzgeschäften und Reihengeschäften:

1. Bilaterale Umsatzgeschäfte:

Bei solchen Geschäften können entweder nur der Lieferer oder nur der Abnehmer bzw. in deren jeweiligem Auftrag ein Dritter beteiligt sein. Möglich ist aber auch, dass sowohl der Lieferer als auch der Abnehmer in den Transport des Liefergegenstands eingebunden sind, weil sie z.B. übereingekommen sind, sich – unabhängig von der Frage, wer Kosten und Gefahr trägt – den Transport des Liefergegenstands an den Bestimmungsort zu teilen (sog. gebrochene Beförderung oder Versendung).

Beispiel:

Unternehmer U veräußert Waren an Abnehmer A. Unternehmer U befördert den Liefergegenstand mit eigenem Fahrzeug in den Hamburger Hafen.. Abnehmer A holt die vom Unternehmer U bis in den Hamburger Hafen transportierte Ware dort ab und befördert sie mit eigenem Fahrzeug zum endgültigen Bestimmungsort.

Für bilaterale Ausfuhr- und innergemeinschaftliche Lieferungen gilt dann:

Sowohl rein tatsächliche Unterbrechungen des Transports, die lediglich dem Transportvorgang geschuldet sind, als auch eine gebrochene Beförderung oder Versendung sind für die Annahme der „Beförderung oder Versendung des Liefergegenstands bei der Lieferung“ und damit für die Entscheidung, ob eine Ausfuhrlieferung nach § 6 UStG bzw. eine innergemeinschaftliche Lieferung nach § 6a UStG vorliegt, unschädlich, wenn der Abnehmer zu Beginn des Transports feststeht (vgl. dazu Abschnitt 3.12 Abs. 3 Satz 4 ff. UStAE) und der liefernde Unternehmer nachweist, dass ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Lieferung des Gegenstands und seiner Beförderung sowie ein kontinuierlicher Vorgang der Warenbewegung gegeben sind. Hat in diesen Fällen der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung im Rahmen seines Teils der Lieferstrecke in das Drittlandsgebiet befördert oder versendet, müssen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG für eine steuerfreie Ausfuhrlieferung erfüllt sein. D.h. im Abholfall muss der Abnehmer ein ausländischer Abnehmer sein.

2. Für Reihengeschäfte gilt Folgendes:

Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Reihengeschäfts nach § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG sind, dass mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen und dieser Gegenstand tatsächlich unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer gelangt.

a) Gebrochene Beförderung oder Versendung

Bei einer gebrochenen Beförderung oder Versendung fehlt es an der für das Reihengeschäft erforderlichen Unmittelbarkeit der Warenbewegung (Abschnitt 3.14 Abs. 4 Satz 1 UStAE). Der Vorgang spaltet sich damit in mehrere hintereinandergeschaltete und getrennt zu beurteilende Einzellieferungen auf.

b) Nicht gebrochene Beförderung oder Versendung

Im Falle einer nicht gebrochenen Beförderung oder Versendung sind jedoch rein tatsächliche Unterbrechungen des Transports, die lediglich dem Transportvorgang geschuldet sind, für die Unmittelbarkeit der Warenbewegung und damit für die Annahme eines Reihengeschäftes unschädlich, wenn der Abnehmer zu Beginn des Transports feststeht (vgl. dazu Abschnitt 3.12 Abs. 3 Satz 4 ff. UStAE) und der die Steuerbefreiung begehrende Unter-nehmer nachweist, dass ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Lieferung des Gegenstands und seiner Beförderung sowie ein kontinuierlicher Vorgang der Warenbewegung gegeben sind.

Bei nicht gebrochener Beförderung oder Versendung des Gegenstands der Lieferung durch mehrere Beteiligte sind somit Unterbrechungen des Warentransports, z.B. Umladungen zur Zusammenstellung von Sammeltransporten oder Wechsel des Beförderungsmittels oder Wechsel eines Unterfrachtführers, für die Annahme der Steuerbefreiung einer Ausfuhrlieferung bzw. einer innergemeinschaftlichen Lieferung unschädlich, wenn der Abnehmer zu Beginn des Transports feststeht und der Transport ohne nennenswerte Unterbrechung erfolgt. Der liefernde Unternehmer muss nachweisen, dass ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Lieferung des Gegenstands und seiner Beförderung oder Versendung sowie ein kontinuierlicher Ablauf dieses Vorgangs gegeben sind. In den Fällen einer Ausfuhrlieferung, in denen der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung im Rahmen seines Teils der Lieferstrecke in das Drittlandsgebiet befördert oder versendet, müssen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG erfüllt sein.

Zusätzlich zu diesen Grundsätzen enthält das BMF-Schreiben eine sog. Kollisionsregelung. Danach beanstandet die Finanzverwaltung bei einer gebrochenen Beförderung oder Versendung durch mehrere Beteiligte (vgl. Abschnitt 3.14 Abs. 4 Satz 1 UStAE) aus einem anderen Mitgliedstaat ins Drittlandsgebiet die Behandlung als Reihengeschäft nicht, wenn der erste Unternehmer den Liefergegenstand aus dem Mitgliedstaat des Beginns der Beförderung oder Versendung (Abgangsmitgliedstaat) nur zum Zweck der Verschiffung ins Drittlandsgebiet in das Inland befördert oder versendet, aufgrund des Rechts des Abgangsmitgliedstaats die Behandlung als Reihengeschäft vorgenommen worden ist und der Unternehmer, dessen Lieferung bei Nichtannahme eines Reihengeschäfts im Inland steuerbar wäre, dies nachweist.

Die Regelungen des BMF-Schreibens gelten in allen offenen Fällen.

Praxishinweise

Mit der Handhabung bei bilateralen Lieferbeziehungen folgt die Verwaltung im Prinzip der Rechtsauffassung, die das FG Sachsen bereits mit Urteil v. 24.5.2011, 6 K 2176/09, EFG 2011, 2112, vertreten hatte. Danach steht es der Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht entgegen, dass die Verfügungsmacht an der gelieferten Ware tatsächlich bereits im Inland vom leistenden Unternehmer auf den jeweiligen Abnehmer übergeht. Auch in den Fällen eines sog. gebrochenen Transports, bei denen sich der Lieferer und der Abnehmer aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet den Transport einer Ware teilen, sodass eine kombinierte Versendungslieferung und Abhollieferung vorliegt, sind nach dem Urteil die Anforderungen des § 6a Abs. 1 Nr. 1 UStG erfüllt.

Wenn bei (bilateralen) Ausfuhrlieferungen und innergemeinschaftlichen Lieferungen der liefernde Unternehmer und der Abnehmer jeweils für einen Teil der Beförderung oder Versendung der Ware verantwortlich sind, ist es für die Annahme einer Steuerbefreiung nach dem BMF-Schreiben unschädlich, wenn der Transport der Ware ohne nennenswerte Unterbrechung erfolgt. Gleiches gilt in Reihengeschäften mit nur einer Transportverantwortlichkeit durch einen der am Reihengeschäft Beteiligten für den gesamten Warenweg für rein tatsächliche Unterbrechungen des Transports, die lediglich dem Transportvorgang geschuldet sind. Diese sind für die Unmittelbarkeit der Warenbewegung und damit für die Annahme eines Reihengeschäftes unschädlich.

Das BMF-Schreiben definiert nicht, was „ohne nennenswerte Unterbrechung“ bedeutet. Es dürfte aber gleichwohl noch zulässig sein, wenn die Ware auf dem Weg zum endgültigen Bestimmungsort z.B. bis zu fünf Tagen zwischengelagert wird. Wichtiger erscheint, wovon auch das FG Sachsen ausgeht, dass für das Vorliegen einer einheitlichen Ausfuhrlieferung bzw. innergemeinschaftlichen Lieferung in erster Linie darauf abzustellen ist, dass der Ab-nehmer (in Fällen der innergemeinschaftlichen Lieferungen als ein im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässiger Unternehmer) bereits bei Beginn des Transports feststeht.

Nach dem BMF-Schreiben ist z.B. in folgendem Fall (bei Vorliegen der weiteren (Nachweis-)Voraussetzungen) eine steuerfreie Ausfuhrlieferung anzunehmen:

Ein amerikanischer Kunde US platziert einen Auftrag beim deutschen Großhändler DE. DE und US haben als Lieferbedingung „FOB Hamburg“ vereinbart. Die Seefrachtkosten werden dementsprechend von US getragen. DE tätigt eine steuerfreie Ausfuhrlieferung nach § 4 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 6 UStG. Er ist auch nach den INCOTERMS®2010 als Zollbeteiligter verpflichtet, die Ware zur Ausfuhr frei zu machen,  gibt in eigenem Namen und für eigene Rechnung die ATLAS-Ausfuhranmeldung ab und erhält nach erfolgtem Abschluss des Verfahrens den Ausgangsvermerk.

In Fällen von Reihengeschäften sind nach dem BMF-Schreiben vom 07.12.2015 gebrochene Beförderungen/Versendungen grundsätzlich schädlich für die Annahme eines umsatzsteuerlichen Reihengeschäfts. Diese Auffassung dürfte vornehmlich dadurch begründet sein, dass sich ansonsten vor allem die Frage stellen würde, welcher Lieferung in der Reihe die für die Bestimmung des Lieferortes und der Frage der Steuerbefreiung maßgebliche Warenbewegung zuzuordnen ist, wenn bei dem Transport der Ware mehrere am Reihengeschäft Beteiligte mitwirken.

Die Annahme eines Reihengeschäfts bei einer gebrochenen Beförderung oder Versendung würde auch nicht zwingend zu einer Vereinfachung bei den betroffenen Unternehmen führen.

Beispiel 1:

Der deutsche Unternehmer DE in Köln liefert Ware an den österreichischen Kunden AT 1. Dieser liefert die Ware weiter an den österreichischen Kunden AT 2. DE transportiert die Ware bis nach Rosenheim. In Rosenheim übernimmt AT 1 selbst den Weitertransport bis zu seinem Kunden AT 2 nach Wien. Unstrittig steht von Anfang an fest, dass die Ware zu AT 2 transportiert werden soll. Wäre diese gebrochene Beförderung für das Vorliegen eines Reihengeschäfts unschädlich, ergäben sich folgende Konsequenzen:

Eine Zuordnung der bewegten Lieferung zu einem der beiden Umsätze (DE an AT 1 bzw. AT 1 an A2) wäre nicht zweifelsfrei möglich. Als bewegte Lieferung könnte die Lieferung zwischen DE und AT 1 angesehen werden. Dafür spräche, dass dies für die Beteiligten mit dem geringsten Aufwand verbunden wäre und deshalb so geplant war. Genauso gut könnte aber auch die Lieferung zwischen AT 1 und AT 2 als die steuerfreie und deshalb bewegte Lieferung angesehen werden, da es unzweifelhaft erst bei dem Transport der Ware durch AT 1 zu der grenzüberschreitenden Warenbewegung von Deutschland nach Österreich gekommen ist. Da die Zuordnung der ruhenden Lieferung im Reihengeschäft direkt von der bewegten Lieferung abhängig ist, bestünde für DE und AT 1 jeweils das Risiko, zu Unrecht ohne Umsatzsteuer fakturiert zu haben. AT 2 würde das Risiko einer ggf. nicht abzugsfähigen Vorsteuer tragen.

Beispiel 2:

Ein amerikanischer Kunde US platziert einen Auftrag beim deutschen Großhändler DE. DE und US haben als Lieferbedingung „FOB Hamburg“ vereinbart. Die Seefrachtkosten werden dementsprechend von US getragen. DE wiederum bestellt den Gegenstand beim polnischen Hersteller PL zur Kondition „EXW“. Die Lieferung erfolgt im direkten Streckengeschäft im Container von Polen nach Hamburg und von dort aus mit dem Schiff in die USA. DE eröffnet das Ausfuhrverfahren in Polen und erhält nach erfolgtem Abschluss des Verfahrens den Ausgangsvermerk nach polnischem Recht.

Nach dem BMF-Schreiben v. 07.12.2015 setzt das unmittelbare Gelangen eine Beförderung oder Versendung durch einen am Reihengeschäft beteiligten Unternehmer voraus. Diese Voraussetzung ist in diesem Beispiel einer gebrochenen Beförderung nicht erfüllt. Das Reihengeschäft endet in diesem Beispiel auch nicht in Hamburg, weil A aufgrund der Lieferbedingung „FOB Hamburg“ bereits in Hamburg die Verfügungsmacht erhalten haben könnte, denn endgültiger Bestimmungsort des Umsatzgeschäftes waren die USA. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Reihengeschäfts sind somit nicht bereits mit Verschaffung der Verfügungsmacht in Hamburg erfüllt.

Da im Beispielsfall allerdings die Warenbewegung in einem anderen Mitgliedstaat beginnt und über das Inland ins Drittlandsgebiet führt, wäre nach der Kollisionsregelung des BMF-Schreibens gleichwohl von einem Reihengeschäft auszugehen, wenn die polnische Verwaltung ein Reihengeschäft annähme und der Lieferer DE, dessen Lieferung (bei Nichtannahme eines Reihengeschäfts) im Inland steuerbar ist (Beginn der Beförderung oder Versendung durch DE an US in Hamburg) dies nachweist. Auch wenn DE die Behandlung als Reihengeschäft nach polnischer Auffassung nicht nachweisen kann, muss die Erklärung zur Abfertigung zur Ausfuhr durch DE als zweiten Unternehmer in der Reihe in Polen abgegeben werden, da DE aufgrund der fehlenden Freihafeneigenschaft des Hafens Hamburg die Ausfuhrlieferung erbringt. Nimmt DE die Anmeldung zur Ausfuhr in Polen vor, ist er auch im Besitz der zur Erlangung der Steuerbefreiung erforderlichen Nachweise.

Beispiel 3:

Unternehmer US aus den USA bestellt bei dem in Belgien ansässigen Unternehmer BE Ware. BE und US vereinbaren CIF Hafen New York. BE hat die Ware nicht vorrätig und bestellt sie bei dem deutschen Unternehmer DE in Köln. DE und BE vereinbaren FOB Hafen Antwerpen.

Auch in solchen Fällen, in denen der Gegenstand aus Deutschland über einen Hafen im übri-gen Gemeinschaftsgebiet FOB verschifft wird, liegt nach dem BMF-Schreiben kein Reihengeschäft vor. Da im Beispielsfall die Warenbewegung nicht in einem anderen Mitgliedstaat, sondern im Inland beginnt, kommt auch die Kollisionsregelung des BMF-Schreibens nicht zur Anwendung. DE hätte eine steuerbare innergemeinschaftliche Lieferung nach Belgien erbracht und BE eine Ausfuhrlieferung, steuerbar in Belgien.

Problematischer sind solche Fälle aber noch, wenn die ersten beiden Unternehmer in der Kette in Deutschland ansässig sind und die gebrochene Versendung von Gegenständen in ein Drittland von Deutschland aus über einen niederländischen oder belgischen Hafen erfolgt. Das Problem für die betroffenen Unternehmer in Deutschland ist, dass die niederländische bzw. belgische Finanzverwaltung dem deutschen Lieferer keine belgische bzw. niederländische USt-IdNr. erteilt, wenn die Lieferung in Deutschland bereits zollrechtlich abgefertigt wurde.

Beispiel 4:

Ein Auftraggeber VE in Venezuela bestellt eine Luftfilteranlage bei dem deutschen Großhändler G in Frankfurt. G bestellt die Luftfilteranlage bei dem deutschen Hersteller H in Hannover. G vereinbart mit H, dass dieser den Transport bis zum Seeschiff „MS Belgien“ veranlasst. H beauftragt eine deutsche Spedition, die den Liefergegenstand per LKW abholt, in Hannover seemännisch verpacken lässt und danach per LKW mit der Lieferbedingung FOB zum Seeschiff „MS Belgien“ in Antwerpen transportiert. VE beauftragt die Reederei BE in Antwerpen, die Anlage nach Caracas zu verschiffen. VE lässt die Anlage per LKW von Caracas zu seinem Firmensitz transportieren. Der jeweilige Auftraggeber für den Transport trägt auch die Kosten. Die umsatzsteuerrechtliche Verfügungsmacht wird mit Übergabe des Liefergegenstands auf dem Seeschiff „MS Belgien“ entsprechend der vertraglichen Vereinbarung dort von H dem G und eine logische Sekunde später von G dem V verschafft. Da die Luftfilteranlage nach Venezuela (Drittland) geliefert wird, lässt H den Liefergegenstand bereits in Deutschland zollrechtlich ordnungsgemäß für den freien Verkehr abfertigen. Aufgrund der vorhandenen Ausfuhrdokumente geht die belgische Finanzverwaltung von einer umsatzsteuerfreien Ausfuhrlieferung aus und erteilt weder H noch G eine belgische USt-IdNr.

Nach dem BMF-Schreiben vom 07.12.2015 liegt hier kein Reihengeschäft vor und die Kollisionsregelung kommt auch nicht zur Anwendung. Ort der Lieferung von H ist Hannover, weil dort die Versendung beginnt. Die Voraussetzungen für eine steuerfreie Ausfuhrlieferung liegen nicht vor, da H die Anlage nicht in das Drittlandsgebiet befördert oder versendet (§§ 4 Nr. 1 Buchst. a und 6 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Da G nach § 6 Abs. 2 UStG kein ausländischer Abnehmer ist, greift auch § 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG nicht ein. Auch die Voraussetzungen für eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung liegen nicht vor (§§ 4 Nr. 1 Buchst. b und 6a Abs. 1 UStG). Die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG sind nachzuweisen (§ 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a und 17c UStDV). Nach § 17c Abs. 1 Satz 1 UStDV hat der Unternehmer H u.a. die ausländische USt-IdNr. des G buchmäßig nachzuweisen. Für die belgische Finanzverwaltung liegen jedoch die Voraussetzungen für eine umsatzsteuerfreie Ausfuhr vor, weil die Luftfilteranlage bereits in Deutschland von G zollrechtlich zur Ausfuhr angemeldet worden ist. Dass die umsatzsteuerrechtliche Verfügungsmacht über diese Anlage auf dem Seeschiff „MS Belgien“ in Antwerpen, welches zum belgischen Staatsgebiet gehört, verschafft wurde, ist für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung dieses Sachverhaltes für die belgische Finanzverwaltung unbeachtlich. Aus diesem Grund wird dem G auch keine belgische USt-IdNr. erteilt. Nach der MwStSystRL liegt in solchen Fällen regelmäßig eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung vor, die eine innergemeinschaftliche Erwerbsbesteuerung auslöst. Dies wird von der belgischen Finanzverwaltung jedoch anders beurteilt. Da die belgische Finanzverwaltung dem G keine belgische USt-IdNr. erteilt, kann H auch nur die deutsche USt-IdNr. des G auf der Rechnung aufführen. Wenn die belgische USt-IdNr. des G nicht nach § 17c Abs. 1 UStDV buchmäßig nachgewiesen wird, ist die Steuerbefreiung zu versagen. Die Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 UStG kann auch nicht angewendet werden, weil die belgische USt-IdNr. nicht buchmäßig aufgezeichnet wurde.

In solchen Fällen wäre es wünschenswert, wenn die deutsche Finanzverwaltung die Fälle entsprechend der zollrechtlichen Handhabung auch umsatzsteuerrechtlich beurteilen würde. Dies bedeutete, dass derartige Exporte, die in Deutschland zollrechtlich zur Ausfuhr in das Drittlandsgebiet abgefertigt und über einen belgischen oder niederländischen Seehafen abgewickelt werden, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen umsatzsteuerrechtlich auch dann als steuerfreie Ausfuhrlieferungen ohne vorgeschaltete innergemeinschaftliche Lieferung gelten könnten, wenn unter Berücksichtigung der Lieferkonditionen (Incoterms®) nach dem BMF-Schreiben v. 07.12.2015 eine gebrochene Beförderung vorliegt. Die Lieferung der Luftfilteranlage von H an G wäre dann als umsatzsteuerfreie Ausfuhr zu behandeln und G hätte eine nichtsteuerbare Lieferung an VE in Venezuela.